Wer hat hier eigentlich den Hut auf?

„Verrückte Zeiten, oder?“

Diese Fragen hören wir seit Mitte März bei nahezu allen Gesprächen – ob in Telefonaten, Videokonferenzen, E-Mails oder in den wenigen direkten Gesprächen mit Abstandshaltung.

Doch genauso verrückt, wie uns diese Zeit im persönlichen und privaten Kontext erscheint, so stellt sie sich auch im Bereich des Personalmarketings dar. Lag die Zahl der Unternehmen in Deutschland, die Kurzarbeit beantragt habe, schon Ende März, also knapp zwei Wochen nachdem das Virus begann, sich sehr stark auch in Deutschland auszubreiten, bei knapp einer halben Million, so ist die Zahl bis Mitte April auf über 720.000 Unternehmen gestiegen. In nahezu jedem dritten Betrieb befinden sich Mitarbeiter in Kurzarbeit. Ende April meldete die Agentur für Arbeit, dass sich in Deutschland mehr als 10 Millionen Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit befinden. Im Vergleich: Zu Spitzenzeiten in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 lag der Wert bei 1,4 Mio.

 

Der Fachkräftemangel ist trotz Corona-Krise vorhanden

Unternehmen stehen aktuell in Bezug auf das Personalmarketing vor großen Herausforderungen. War zuletzt der Fachkräftemangel die große Challenge, hat sich dies mit einem Schlag geändert: Jetzt muss erst einmal dafür gesorgt werden, dass entweder alle Mitarbeitenden im Betrieb bleiben oder leider auch Personal abgebaut wird.

Doch betrifft das nicht alle Betriebe. Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht von den Beschränkungen in der Krise erschüttert ist, leiden weiterhin unter dem Fachkräftemangel. Bei Unternehmen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells sogar Umsatz und Kunden hinzugewinnen konnten, verschärft sich die Lage auf andere Weise. Mögliche Zugewinne und Kapazitätserweiterungen können aktuell nicht bedient werden, weil die personellen Ressourcen nicht aufgestockt werden können.

Und die „andere Seite“, also die Seite der Arbeitnehmer*innen? Hier herrscht teilweise Angst, den Job zu verlieren, andererseits aber sogar Aufbruchstimmung! Hört sich seltsam an, aber sowohl die Ausgangsbeschränkungen als auch die Kurzarbeit, die uns oftmals mehr freie Zeit zur Verfügung stellt, potenzieren das Ganze. Eine aktuelle Studie von Kantar zeigt: Mit Blick auf die durch die Kurzarbeit entstandene finanzielle Belastung (geringes Haushaltseinkommen) nutzen viele Arbeitnehmer*innen die freie Zeit dazu, über sich und ihr Leben nachzudenken. Bin ich noch richtig in dem Job beziehungsweise bei meiner/m Arbeitgeber*in? Was passiert, wenn die Corona-Krise noch länger dauert oder nach Abklingen wieder zurückkommt – womöglich noch stärker? Gibt es für mich eine/n Arbeitgeber*in, der krisenfester ist?

 

Employer Branding ist vor allem in Krisen wichtig

Weil die Relevanz einer attraktiven Arbeitgebermarke nicht erst seit Beginn der Corona-Krise ein entscheidendes Kriterium im Personalmarketing darstellt, verwundert es, wie ungenügend Unternehmen in dem Bereich aufgestellt sind. 

Die Karriere-Seiten der Corporate Websites bieten nur selten einen tieferen Einblick in das jeweilige Unternehmen und die Arbeitswelt des Betriebs. Oftmals besteht die User Experience hier lediglich aus dem Überblick eines allgemeinen Profils des Unternehmens („Wer sind wir“, „Was machen wir“, o.ä.) sowie aus aktuellen Unternehmenszahlen (Jahr der Gründung, Anzahl Mitarbeitende, Standorte und Anzahl der Länder, in die man exportiert, vielleicht noch Umsatz o. ä.). Doch konkrete Vorteile für die Mitarbeitenden fernab der üblichen Dinge oder sogar wie es ist, im Unternehmen zu arbeiten inkl. offenem und transparentem Feedback der eigenen Mitarbeitenden, findet man nur sehr selten. Und wir reden hierbei noch nicht einmal über die eine oder andere innovative Idee, potenziellen Bewerber*innen einen Einblick ins Unternehmen zu geben.

Nur ein kleines Beispiel für eine innovative Idee, tiefere Einblick in ein Unternehmen zu geben: Die Rewe Group ermöglicht in ihrem Karriereportal einen 360°-Blick in eine typische Rewe-Filiale, dem Arbeitsumfeld einer/s potenziellen Bewerbenden.

 

„Was erlaubt der sich denn?!“

Auch externe Trigger, die die Arbeitgebermarke beeinflussen, sind in nur wenigen Fällen bekannt – und sollten sie bekannt sein, werden sie akzeptiert, aber es wird in nur sehr seltenen Fällen etwas dafür getan, sie ernst zu nehmen und/oder zu verbessern. So erleben wir es in unserer täglichen Arbeit immer wieder, dass Portalen wie kununu, glassdoor oder der Google My Business-Website des Unternehmens sowie anderen Touchpoints, an denen Bewertung möglich sind (z. B. Facebook), kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. 

Wenn die dortigen Reviews Beachtung finden, so werden sie oftmals lediglich zur Kenntnis genommen. Negative Bewertungen werden heruntergespielt oder man resigniert vor ihnen. In seltenen Fällen versucht man sogar, die Autoren zu identifizieren, um gegen sie vorgehen zu können. 

Auf positiven Feedbacks ruht man sich gerne aus, obwohl sie oftmals die Chance zur Weiterempfehlung und somit Stärkung der Arbeitgebermarke bieten.

Lassen wir doch einfach die zu Wort kommen, die am besten über den Job berichten können! Die Deutsche Bahn bietet Live-FAQ für Interessierte an, in dem Mitarbeitende aus dem Job ihre Erfahrungen teilen und ihren Job beschreiben – in Zeiten von Corona per Video-Konferenz.

 

Warum steckt im Personalmarketing so wenig Marketing?

Apropos Touchpoints: Die Betrachtung der Customer Journey sowie der Performance aller relevanter Touchpoints wird immer wichtiger. Das ist im klassischen und verkaufsfördernden Marketing so langsam aber sicher angekommen. Doch im Personalmarketing erleben wir nur sehr selten, dass man sich Gedanken über eine Employer oder Candidate Journey macht. Welche Touchpoints haben wir im Unternehmen, um unsere Mitarbeitenden zu erreichen? Welche Touchpoints sind wie und in welcher Art und Weise performant? Welche tragen zu einer Zufriedenheit und somit Bindung der Mitarbeitenden bei? 

Auf der Seite des Recruitings ergeben sich dieselben Fragen: Wie sieht in unserem Recruiting eine typische Candidate Journey aus? Welche Touchpoints sind relevant und führen wie und wann durch den Bewerbungsprozess? Wo sind eventuelle Abbrüche und wie gehen wir damit in Bezug auf eine Optimierung um?

Warum steckt also im Personalmarketing so wenig Marketing? Wir beobachten oftmals, dass zwar Maßnahmen breit gestreut werden, deren Messbarkeit – ob nach innen zu den Mitarbeitenden, aber auch nach außen im Recruiting – nur sehr selten eine Rolle spielt. Häufig erleben wir ebenso, dass ein strategisches Personalmarketing gar nicht oder nur kaum vorhanden ist. 

Volkswagen wirbt zusammen mit den deutschen Volkswagen-Partner*innen für die duale Ausbildung im Autohandel. Die Kampagnen-Website vermittelt nicht nur freie Ausbildungsplätze, sondern legt zuerst einmal den Fokus darauf, den jungen Menschen die unterschiedlichen Berufsprofile vorzustellen. Denn die Marktforschung belegt, dass potenzielle Azubis im Alter zwischen 15 und 19 Jahren nur selten wissen, was beispielsweise ein Automobil-Mechatroniker ist und was er den ganzen Tag zu tun hat.

 

Wer trägt den Hut, wenn es darum geht, die Arbeitgebermarke hauptverantwortlich zu führen und zu entwickeln?

Doch woran liegt das? Wer hat denn den Lead im Personalmarketing? Aus dem Bereich hören wir oft, dass die Kompetenzen in Bezug auf Personalangelegenheiten selbstverständlich vorhanden sind, man sich selbst aber bei Strategien und Maßnahmen rund um Employer Branding und Personalmarketing schwer tut.

Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Marketing der Unternehmen haben oftmals nichts mit den Themen zu tun, die die Personalabteilung im Bereich Marketing auf der Agenda hat. Die Kapazitäten im Marketing sind verteilt und diese werden für das verkaufende Marketing im Produkt-Bereich benötigt. Und vor dem Aufbau von zusätzlichen Kapazitäten für das Personalmarketing und Employer Branding scheuen sich oftmals alle. 

Wer also trägt den Hut für die Arbeitgebermarke? Das ist ganz sicher eine Frage, die nicht direkt etwas mit unseren „verrückten Zeiten“, sprich der Corona-Krise zu tun hat. Doch vielleicht ist jetzt gerade die Zeit dafür, diese zu beantworten? Vielleicht haben wir vielleicht auch gerade jetzt die Zeit dafür?

matchstick matchstick matchstick matchstick matchstick matchstick matchstick matchstick